Ich denke, jeder von uns stand schonmal im Einzelhandel vor einem Regal und konnte sich partout nicht entscheiden, welches Produkt man nun kaufen sollte. Lieber die Klöße mit Speck, oder die mit Zwiebeln und Champignons? Solche Entscheidungen erfordern mal mehr, mal weniger Involvement, aber sie sind auf einer gewissen Ebene immer anstrengend für den, der sie zu treffen hat. Unser Leben ist bisher durch Technologie nicht simpler, sondern komplexer geworden und wir haben mehr Entscheidungen zu treffen denn je. Spotify auf dem Smartphone ist super, doch morgens vor dem Duschen noch schnell eine Playlist aussuchen zu müssen auf die man wirklich Lust hat, schmälert das Erlebnis schnell.

Hier kommt endlich „Anticipatory Design“ ins Spiel. Diese neue Disziplin, wenn man sie so nennen will, ist eine Weiterentwicklung der User Experience, denn sie ist stark mit kommenden Technologien verzahnt.
Die Kernidee ist, das durch Technologie zu komplex und stressig gewordene Leben, ebenfalls durch Technologie zu entschleunigen und wieder einfacher zu machen.
Um das zu schaffen, wird auf die Hilfe künstlicher Intelligenz und intelligenter Assistenzsysteme zurückgegriffen. Dadurch, dass wir jeden Tag Daten zu unserem Verhalten reagieren, können solche Systeme uns nach und nach besser einschätzen und so anfangen Entscheidungen für uns zu treffen, die uns das Leben erleichtern.
Ein Gedankenbeispiel: Geschäftsreisen sind mit Daten in unseren elektronischen Kalendern hinterlegt. Durch Beobachtung weiß die KI, dass man es vorzieht bei einer Bahnreise mit der U-Bahn zum Hauptbahnhof zu fahren, aber bei einer Flugreise das Taxi vorzieht. Aus Big Data Erhebungen ist genau ersichtlich, wann die Reise starten muss, damit genug Zeit für alle Formalitäten ist. Also bucht der intelligente Assistent entweder selbstständig ein Taxi zur richtigen Uhrzeit, oder stellt einen Wecker für die Abfahrt der U-Bahn, für die er in dem Fall auch ein Ticket gekauft hat. Alles was wir noch tun müssen, ist die Reise anzutreten.

Natürlich birgt Anticipatory Design auch seine Risiken. Das größte öffentlich diskutierte Risiko dürfte dabei der Datenschutz sein. Wenn so viele Daten über uns bekannt sind, machen wir uns zum gläsernen Menschen und potentiellen Ziel und angreifbar.
Doch auch die Gestaltung dieser antizipierten Erlebnisse birgt Fallstricke und Verantwortlichkeiten. Dem Mensch Entscheidungen durch Automatismen abzunehmen ist eine große Verantwortung, denn man verweigert ihm die Möglichkeit, sich spontan anders zu entscheiden und dadurch ein neues Erlebnis zu haben. Wo fördert man da noch die Freiheit und wo schränkt man sie zu sehr ein?
Was wäre, wenn man an dem Tag doch lieber mit dem Fahrrad zum Hauptbahnhof gefahren wäre, einfach weil einem der Sinn danach stand, doch die bereits vollzogene Buchung und der straffe Zeitplan einen dazu zwingt es zu lassen?
Es könnte tatsächlich sein, dass wir in der Zukunft weniger überrascht werden, weil alles für unsere Convenience geplant wird. Da liegt es an uns zu entscheiden, was zu viel ist und wo wir uns wieder mehr Spontanität wünschen.

Learning: Und dann liegt es an allen Externen, die einen gewissen Einfluss auf das Leben des Einzelnen haben, ihm diese Optionen einzuräumen. Vielleicht wird zum vollständig durchorganisierten Digital Lifestyle gehören, dass es Experience Planner gibt, die ganz gezielt und auf Wunsch ihrer Kunden deren convenientes Leben aufmischen, mit ganz ungewohnten Erfahrungen. Ob diese gut oder schlecht sind, kann nicht immer garantiert werden, aber auch das gehört schließlich zum Leben dazu.

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